Sprachdaten sammeln

Was ist „der Dialekt“ eines Ortes? Wie können wir „den Dialekt“ eines Ortes dokumentieren? Wer sind geeignete Gewährspersonen, um darüber Auskunft zu geben?

Die Dialektgeographie interessiert sich vor allem für den Basisdialekt, die Grundmundart – also die „dialektalste“ Sprachschicht, die sich an einem Ort finden lässt. Als geeignete Informanten kommen dafür Personen der älteren Generation (ab ca. 60 Jahren) in Frage, die im Ort geboren und aufgewachsen sind und von denen anzunehmen ist, dass sie in ihrem Alltag hauptsächlich ihren angestammten Dialekt verwenden. Da sich zudem alte Lautungen, Formen und Wörter meist besonders gut im traditionellen bäuerlichen „Fachwortschatz“ halten, gelten Personen bäuerlicher Herkunft als „klassische“ Gewährspersonen. Dies trifft auch auf unsere Informantenauswahl für den Dialektvergleich zu. Für jeden Ort wurde ein „prototypischer“ Sprecher ausgewählt – die Informanten stammen aus dem bäuerlichen Bereich und sind zwischen 60 und 80 Jahren alt.

Dass die Sprache/der Dialekt auch eines kleinen Ortes nichts vollkommen Einheitliches, Homogenes sein kann, wird von der traditionellen Dialektologie gerne übersehen: Es wird das Bild klarer Grenzlinien für einzelne Sprachmerkmale vermittelt. Die Sprachwirklichkeit sieht ganz anders aus. Meist zeigen sich bereits bei einem einzelnen Sprecher (!) Schwankungen seiner Dialektformen während einer Befragung – noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn verschiedene Sprecher für eine Ortsaufnahme herangezogen werden. Einen kleinen Eindruck davon gibt uns die Aufnahme in Schenna. Hier wurden aus aufnahmetechnischen Gründen zwei Gewährspersonen befragt – beide etwa 80 Jahre alt und dialektsicher; also aus der gleichen Sprechergruppe stammend. Wir finden sogar hier auffällige Unterschiede, die auch in unseren Beispielen nachzuhören sind. Diese Unterschiedlichkeit ist nichts Ungewöhnliches, sondern der Normalfall. Sprache ist ständig im Wandel begriffen, und Sprachwandel setzt Sprachvariation voraus: Veränderungen erfassen zunächst einzelne Formen/einzelne Wörter, die in ihrer Realisierung variabel werden. Neue und alte Formen werden abwechselnd verwendet. Allmählich beginnt sich die neuere Form durchzusetzen, bis sie schließlich die frühere Form gänzlich ersetzt. Veränderungsprozesse dieser Art finden ständig statt, die Variation der Sprechweise eines einzelnen Sprechers gibt davon genauso Zeugnis wie die Verwendung unterschiedlicher Formen bei verschiedenen Sprechern.

Noch gravierender und deutlicher sind die Unterschiede, wenn die Sprachformen von Sprechern aus unterschiedlichen sozialen Gruppen miteinander verglichen werden. Einen Eindruck von aktuell vor sich gehenden sprachlichen Veränderungsprozessen gibt unsere Registerkarte Generationenvergleich: Zusätzlich zu den basisdialektalen Formen der älteren Generation finden wir hier die Formen von Sprechern der jüngeren Generation (20-40 Jahre). Diese Sprecher stammen zumeist nicht aus der bäuerlichen Schicht und sollten die Sprechweise eines „Durchschnitts-Einwohners“ des jeweiligen Ortes repräsentieren. Allerdings war es häufig gar nicht einfach, ideale Gewährspersonen dafür zu finden – trotz genauem Anforderungprofil wurden uns in der Regel jüngere Leute genannt, die noch „guten Dialekt“ zu sprechen imstande seien. Daraus ergibt sich manchmal eine Art „Umkehreffekt“ – die etwas paradoxe Situation, dass Sprecher der jüngeren Generation zumindest in der Aufnahmesituation teilweise ältere basisdialektale Formen verwenden als eigentlichen basisdialektalen Sprecher der älteren Generation.

 

Fragebuch

Den Tonaufnahmen lag ein von Hannes Scheutz erstelltes Fragebuch zu Grunde. Es enthält 700 Einzelfragen zu einzelnen Sachgebieten des Alltagswortschatzes und zu bestimmten Fragestellungen aus den unterschiedlichen sprachlichen Ebenen (Lautebene, Wortformen, Satzbau). Die Gewährspersonen sollten spontan jene Ausdrücke wiedergeben, die sie normalerweise verwenden (also z.B. keine „Erinnerungsformen“ aus dem Sprachgebrauch früherer Generationen).
Diese Fragen sehen etwa folgendermaßen aus:

  • Wie sagt man im hiesigen Dialekt zur Biene?
  • Wie lauten hier die Formen des Zeitwortes ziehen (ich ziehe, du ziehst, er zieht...; zieh!; gezogen; usw.)?
  • Ortsüblicher Gruß am Abend?

 

Belegwörter/Aufnahmen

Im Unterschied zu traditionellen Dialekterhebungen, bei denen die Antworten der Gewährspersonen nicht akustisch aufgezeichnet, sondern in einer genauen Lautschrift sofort aufgeschrieben (transkribiert) werden, haben wir die gesamte Aufnahmesitzung jeweils mit einem qualitativ hochwertigen digitalen Aufnahmegerät (Fostex FR-2) festgehalten. Die Aufnahmen wurden nicht im Studio, sondern unter „natürlichen“ Bedingungen zumeist in den privaten Wohnräumen der Gewährspersonen durchgeführt. Daraus ergeben sich manchmal akustische Mängel des Materials auf Grund von unvermeidbaren Nebengeräuschen, Hall-Effekten oder stark schwankenden Abständen des Sprechers vom Mikrofon. Diese Mängel, die trotz einer z.T. recht umfangreichen akustischen Bearbeitung manchmal noch hörbar sind, werden allerdings wettgemacht durch die möglichst große Sponanteität und Unmittelbarkeit der Antworten, die nur in einer solchen weitgehend natürlichen Aufnahmesituation möglich sind.

Die ausgewählten Beispielwörter/-sätze wurden anschließend aus dem gesamten Material elektronisch „ausgeschnitten“. Durch die häufige Einbettung der erfragten Wörter in eine längere Antwort der Gewährsperson war die Isolierung von Einzelwörtern nicht immer möglich: Immer dann, wenn ein Tonschnitt zu größeren Verzerrungen des Höreindruckes geführt hätte, haben wir das Beispielwort in seiner ursprünglichen Satzeinbettung belassen. In wenigen Fällen konnte das gewünschte Wort nicht erfragt werden; dies wird durch einen spezifischen Signalton angezeigt. Um einen natürlicheren Eindruck von der Sprechweise der einzelnen Gewährspersonen zu ermöglichen, präsentieren wir in mehreren Tonbeispielen nicht nur einzelne Wörter, sondern etwas längere satzwertige Äußerungen.