Dialekträume

Dialekte

Dialekte sind Sprachen mit je spezifischer räumlicher Geltung bzw. Gebundenheit. Wenn wir von der kleinsten Einheit – dem Ortsdialekt – ausgehen, können wir beim Vergleich verschiedener Ortsdialekte feststellen, dass es jeweils nur eine wenige charakteristische Merkmale sind, die diese Dialekte voneinander trennen. Die weitaus überwiegende Mehrzahl ihrer sprachlichen Eigenschaften sind dagegen gleich. Dies berechtigt uns, neben den sehr kleinräumig gebundenen Ortsdialekten (z.B. dem Dialekt von Schlanders oder Hittisau) auch etwas großräumigere Dialektgebiete abzugrenzen (z.B. die Dialekte des Südtiroler Vinschgaues oder des Bregenzer Waldes). Auch solche weiter gefassten Sprachräume lassen sich wiederum zu größeren Einheiten zusammenfassen – wobei mit zunehmender Generalisierung natürlich die Anzahl der gemeinsamen Merkmale aller Einzeldialekte immer kleiner wird. Dieses Verfahren führt schließlich zur Konstituierung zweier großer süddeutscher Dialektverbände, dem Alemannischen und dem Bairischen.

Beide Dialektverbände weisen in sich jeweils eine charakteristische Nord-Süd-Gliederung auf, die im Wesentlichen auf den Gegensatz zwischen der Verkehrsoffenheit des nördlichen voralpinen Raums und der Abgeschiedenheit des inneralpinen Raums zurückzuführen ist: Während die verkehrsabgeschiedenen südlichen Dialekte sehr sprachkonservative, altertümliche Eigenschaften bewahrt haben, zeichnen sich die weiter nördlich liegenden Dialektgebiete durch eine Reihe von sprachlichen Neuerungen seit dem Mittelalter aus.

 

Alemannisch

Im Westen unseres Gebietes liegt das Alemannische, das im Osten an das Bairische, im Süden an das Rätoromanische grenzt.

Das Alemannische ist in sich stark gegliedert: Es gibt kein spezifisches sprachliches Merkmal, das ausschließlich für das gesamte Alemannische gelten und es damit von benachbarten Dialektverbänden abheben würde.

Die häufig vorgenommene Unterteilung in Nieder-, Hoch- und Höchstalemannisch entspricht im Wesentlichen der Nord-Süd-Abfolge vom Elsässisch-Badischen bis zu den sprachkonservativsten Dialekten im Kanton Wallis. Das Schwäbische nimmt den nordöstlichen Bereich mit einem Grenzsaum entlang des Lech gegenüber dem Bairischen ein. Wir verwenden für unser Gebiet einen anderen Einteilungsvorschlag, der die Dialekte zwischen dem Bodensee und Graubünden in zwei größere Gruppen unterteilt – dem „Bodensee-Alemannischen“ und dem „Südalemannischen“. Daran schließen sich im südlichen Graubünden (vgl. unsere Beispielorte Vals, Davos) auch Gebiete mit höchstalemannischen Merkmalen an. Eine höchstalemannische Sprachinsel findet sich ebenfalls noch im vorarlbergischen Großen Walsertal (vgl. Fontanella). Merkmale dieses Höchstalemannischen, die wir auch in unseren Beispielorten finden, sind etwa die Veränderung des s-Lautes zu sch wie in sieschi und der Erhalt des alten Langvokals î in Wörtern wie mhd. snîwen ‚schneien‘ → schniie (gegenüber schneie der angrenzenden alemannischen Dialekte).

Das Schwäbische weist wie seine alemannischen Nachbardialekte einen „Einheitsplural“ auf -ed oder -nd auf: ‚wir lesen – ihr lest – sie lesen‘ → wir/ihr/sie lesed ~ wir/ihr/sie lesnd. Ein trennendes Merkmal ist hingegen die Diphthongierung (Verzwielautung) von alten (mhd.) Langvokalen, die das Schwäbische mit dem Bairischen gemeinsam hat: mhd. bîzen ‚beißen‘ → baisse; mhd. mûs ‚Maus‘ → maus.

 

Bairisch

Das Bairische ist der größte deutsche Dialektverband im Südosten des deutschen Sprachgebietes. Er umfasst die Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz im Freistaat Bayern, das gesamte österreichische Gebiet (mit Ausnahme Vorarlbergs und des Tiroler Außerfern) und Südtirol. Der dialektologische Begriff „Bairisch“, der sich aus der Bezeichnung der ersten „deutschsprachigen“ Besiedler und ihrer Stammesdialekte in althochdeutscher Zeit ableitet, ist somit strikt zu trennen vom geopolitischen Begriff des „Bayerischen“, der sich ausschließlich auf den Freistaat bezieht: Auch die Dialekte in Österreich sind überwiegend „bairisch“ – und auf bayerischem Gebiet finden sich keinesfalls nur bairische Dialekte.

Innerhalb des Alpenraums finden wir zwei der drei großen Teilgebiete des Bairischen: Das Mittelbairische im nördlichen Bereich mit dem Kerngebiet im voralpinen Isar-Donau-Raum und das Südbairische im inneralpinen und südalpinen Bereich (Tirol, Kärnten, Steiermark). Wiederum ist es das im offenen und seit jeher verkehrsintensiven Isar-Donau-Raum gelegene Mittelbairische, das sich als besonders neuerungsfreudig erweist. Solche Neuerungen betreffen beispielsweise die Schwächung alter Starkkonsonanten (z.B. td in Wörtern wie mhd. wëterweeda ‚Wetter’) oder die Veränderung des Konsonanten l zum Vokal i im Silben- und Wortauslaut (z.B. Schuldschuid, Goldgoid usw.).

Zwischen dem Südbairischen und Mittelbairischen existiert ein breites Übergangsgebiet, das von Norden nach Süden zunehmend mehr südbairische Eigenheiten annimmt (z.B. Erhalt des Starkkonsonanten k im Wortanlaut (vgl. Knie > k(ch)nia gegenüber mittelbairisch gnia, dnia). Dieses Übergangsgebiet, das den größten Teil Salzburgs einnimmt und sich durchs tirolische Unterinntal bis ins bayerische Werdenfelser Land (vgl. Grainau) zieht, bezeichnen wir als südmittelbairisch.

 

Dialekte vergleichen

Für den Vergleich von Dialekten ist es notwendig, ein gemeinsames sprachliches Bezugssystem als Vergleichsgrundlage zu finden. Die Standardsprache ist dafür nicht geeignet: Zu viele sprachliche Sonderentwicklungen stören die Ableitung eindeutiger Bezüge und Korrespondenzen zu den Dialekten. Um eine sinnvolle sprachliche Vergleichsbasis zu erhalten, ist es notwendig, in der Sprachgeschichte auf das mittelhochdeutsche (mhd.) Sprachsystem zurückzugehen. Unsere ausgewählten Hörbeispiele für den Lautbereich (Vokale und Konsonanten) repräsentieren jeweils typische Wörter für bestimmte mhd. Ausgangslautungen bzw. Lautentwicklungen:

Vokale

 

 

Konsonanten

 

mhd. a

Katze

 

l-Vokalisierung:

kalt

 

sagen

 

 

spielen

 

Nadel

 

 

stellen

 

Schatten

 

 

Gabel

mhd. ë

Nebel

 

 

Apfel

mhd. o/ö

Bock – Böcke

 

r-Vokalisierung:

Birne

mhd. â

Blase

 

 

Herbst

mhd. æ

mähen

 

 

Bauer

 

Käse

 

k-

Katze

mhd. ô/œ

groß – größer

 

kn-

Knie

mhd. û/iu

Maus – Mäuse

 

-ck-

Stecken (‚Stab‘)

 

Bauer – Bäurin

 

-b-

Nebel

mhd.î

beißen

 

-st

ziehst

 

schneien

     

mhd. iu

Fliege

     

mhd. ei

breit, Geiß – Geißen

 

 

 

 

Stein

 

 

 

mhd. uo

Mutter

 

 

 

 

tun

 

 

 

mhd. ie

Knie